Christian Deckert - Malerei - Zeichnung
Einführung zur Ausstellung "Magenta" Städtische Galerie Kaarst im Rathaus Büttgen, 5.7.2002, 19.30 Uhr



Von rosaroten Panthern und Piraten - oder ein Mann sieht Magenta

Sie kennen alle das Sprichwort: Viele Wege führen nach Rom. Mögen wir auf dem Rücken eines Elefanten die Alpen überqueren, uns Rom zu Fuß, per Kutsche, auf dem Wasser oder Luftweg nähern, ganz egal wie, eines besagt die Redewendung glasklar, es führt kein Weg an Rom vorbei. Selbstverständlich ist nicht so sehr der konkrete Ort gemeint, vielmehr steht Rom für etwas, an dem der Mensch schlecht vorbeikommt, etwas Unabdingbares. Rom ist eine Metapher für die Sehnsucht des Menschen nach dem dolce far' niente, für unerfüllte Träume und paradiesische Zustände, aber vor allem auch für einen Quell schier unerschöpflicher Inspiration, denn Rom wurde bis weit ins 19. Jahrhundert hinein als "Mekka der Künste"gerühmt.

Es mag also viele Wege geben, wie der Mensch zum Ziel kommt, das Ziel aber, die höchste Stufe der Vollkommenheit und des Glücks ist, wie schon Goethe auf seiner Italienreise erfuhr, ein Dasein mit und durch die Kunst.
Und so gibt es bei unserem Streben nach Vollkommenheit und Glück ohne Zweifel viele Wege, sich der Kunst zu nähern, aber eines wissen wir spätestens seit Beuys, es führt kein Weg an der Kunst vorbei.
Der Königsweg zur Kunst aber ist der direkte Weg zum Original. Unmittelbarkeit und Authentizität sind die Fixsterne dieses Reiseweges. Die Besucher dieser Ausstellung haben heute diesen Weg aus gutem Grund gewählt. Denn nur eine Ausstellung bietet den freien Zugang zum Original und zu seinem Urheber. Es gibt dazu - wie ich meine - keine bessere Alternative.
Andere Pfade zur Kunst sind zwar denkbar, beispielsweise über die Sprache, ein meist unzureichendes Transformieren der Bilder in Worte, oder über das Konsumieren von reproduzierten Bildern im Katalog, als Postkarte, Plakat, im Video, Film oder in der Computeranimation. Der Weg aber zum Original bleibt - davon bin ich überzeugt - unersetzbar und legt den fruchtbarsten Keim für neue Bilder und Ideen. Es ist deshalb so wichtig, möglichst viele Orte der Begegnung mit dem Original zu erhalten.



Magenta

Nun, was passiert eigentlich vor dem Original? In erster Linie aktivieren wir das Auge. Dabei ist der erste Augenblick ganz entscheidend. Schon im ersten Augenaufschlag klärt sich, ob sich der Betrachter auf ein Bild einläßt, ihm weitere Sekunden gönnt, sich gar einem Dialog stellt oder doch wieder abwendet. Ob der Augenblick länger dauert als ein Augenblick hängt also davon ab, ob das Auge gereizt wird, etwa durch eine markante Form oder durch eine die Retina reizende Farbe.
Die von Christian Deckert gewählte Farbe Magenta ist zweifelsohne geeignet, das Auge zu fesseln. Magenta, auch Pink oder Rosarot umgangssprachlich genannt, zählt mit Cyan (d.h. Türkis) und mit Gelb zu den Grundfarben unseres modernen, sogenannten subtraktiven Farbsystems. Zusammen mit Schwarz bilden sie die sogenannten Prozeßfarben des Vierfarbdruckers (die Abkürzung dafür ist CMYK), aus dem durch Übereinanderdrucken der vier Farben eine reiche Farbpalette. Untersuchungen haben gezeigt, daß jede Farbe ihre spezifische Dynamisierung besitzt. Unter der Dynamik von Farben versteht man eine Anstoßwirkung auf das menschliche Verhalten. Man hat beobachtet, daß vom Auge eine durch die Farbe stimulierte Information über das Zwischenhirn auf die Körperfunktionen übertragen wird. Während der Blau-Bereich beruhigend wirkt, hat der Rot-Gelb-Bereich eine stimulierende Wirkung. Rot-Töne ziehen an, wärmen und werden als bewegt wahrgenommen.
Diejenigen unter Ihnen, die Christian Deckert schon länger kennen und sein Werk in den letzten Jahre verfolgt haben, werden sich nicht wenig über die ungewöhnliche Farbwahl wundern, zumal Christian Deckert seine Herkunft aus der Zeichnung und seine Präferenz für Graphit und Grautöne zu keinem Zeitpunkt, auch in der neuen Bilderreihe nicht verleugnet hat. In einigen Werken der letzten Jahre hatte sich ein intensiver grüner Farbwert eingeschlichen, den er, wie er mir sagte, im Grunde gar nicht mochte, der sich ihm aber immer wieder aufdrängte. Auch die Verwendung des Magenta-Tons sei zunächst ein eher unbewußter Vorgang gewesen.
Ganz offenbar verfügt Christian Deckert über eine sensible Farbwahrnehmung, denn gerade die beiden von ihm verwendeten Farben Magenta und Grasgrün bilden nachweislich einen echten Komplementärkontrast.

Goethe verdanken wir in dieser Hinsicht eine wichtige Beobachtung, die möglicherweise ursächlich für Christian Deckerts Hinwendung zur Farbe Magenta sein könnte. Goethe stellte fest, daß jede Farbe ein Nachbild, einen sogenannten Sukzessivkontrast erzeugt. Konzentriert man sich auf die Farbe Grasgrün und schaut anschließend auf eine neutralweiße Fläche, scheint dort ein Nachbild in seiner Komplementärfarbe Magenta auf.
Psychologische Untersuchungen zum Zusammenwirken von Farben bestätigen zusätzlich Christian Deckerts gute Farbintuition. Kulturgeschichtlich bedingt nehmen wir in einem Bild zuerst Hell-Dunkel-Kontraste wahr, dann Rotwerte, dann Grün-Töne und erst nach allen anderen Farben ganz zum Schluß die Farbe Grau. In Deckerts großem Bild "Vision", das sozusagen eine Übergangsphase zur "Magenta-Bildfolge" darstellt, schleichen sich erste Partien Magenta ins Bild und bilden eine kleine schrille Dissonanz zum tiefen Rot-Ton. Ein grauweißes Segment schneidet allerdings so in die dominante rote Fläche ein, daß es deren Leuchtkraft schwächt. Die verschiedenen Grautöne schließlich sind dazu geeignet, zwischen disharmonischen Farbpaaren zu vermitteln, ohne die Farbwerte als solche zu beeinflussen. An Hand des zuletzt entstandenen Tryptichons mit einer magentafarbenen Figur hinter einem Holzzaun und vor drei verschiedenen Gründen stehend, haben Sie die Gelegenheit, die unterschiedlichen psychologischen Wirkungen der Zusammenklänge des Magenta, einmal mit seiner Gegenfarbe Grün, dann mit dem das Magenta entkräftenden Hell-Grau und schließlich mit dem das Magenta zum Leuchten bringenden Grau-Schwarz zu erleben.



The image comes before the painting - oder die Wirkungsmacht des rosaroten Panthers

Das Auge ist zu keinem Zeitpunkt allein ein funktionstüchtiges Sehorgan, es ist immer zugleich ein vorausschauendes und wissendes Auge, das längst zahllose andere Bilder aufgenommen und an das Gehirn weitergereicht hat, um dort einen enormen Bildervorrat speichern zu helfen. Ein "Bild" - und den Begriff meine ich durchaus doppelsinnig -, einmal als konkretes Bild an der Wand, zum anderen als inneres und erinnertes Bild im Betrachter - ein Bild also ist mehr als ein Produkt von Wahrnehmung. "Es entsteht als das Resultat einer persönlichen oder kollektiven Symbolisierung", wie Hans Belting sagt. "Alles, was in den Blick oder vor das innere Auge tritt, läßt sich auf diese Weise zu einem "Bild" erklären oder in ein Bild verwandeln...., [denn wir] leben mit Bildern und verstehen die Welt in Bildern" (Belting, Bild-Antropologie, München 2001, S.11). Wenn Sie also vor die Bilder von Christian Deckert treten, ist ihr Sehen schon mit anderen, fremden Bildern besetzt. Beim Betrachten der Werke wird ein interaktives Feld eröffnet, auf dem Sie bestenfalls neue Bildimpulse vom Werk an der Wand aufnehmen, aber zugleich ihre eigenen Bilder auf das Werk übertragen. Und nicht immer können Sie Herr über Ihre inneren Bilder sein, denn es schleichen sich auch ungewollte, fremde ein, solche, die durch die Werbung erzeugt wurden und sich festgefressen haben.

Sie ahnen worauf ich hinaus will: Christian Deckert provoziert in besonderem Maße in seiner neuen Bildfolge"Magenta" den Wiedererkennungseffekt an die schnöde Reklame und Werbewelt, insbesondere an die Werbekampagne des Großkonzerns Deutsche Telekom.
Die Werbestrategie der Deutschen Telekom baut auf die psychologische Wirkung der Farbe Magenta - bewegt, dynamisch, Nähe und Wärme evozierend - auf. Der Konzern bedient sich eines durch den Trickfilm bereits eingeführten Sympathieträgers, des rosaroten Panthers. Dieser soll unserer Infantilgeselischaft als Identifikationsfigur dienen. Sein permanentes Telephonieren fordert zur Nachahmung und zu endlosem Konsum auf. Christian Deckert verwandelt nun den dünngliedrigen Panther in eine plumpe Tier-Mimikry, ein aufblasbares Schwimmobjekt, dessen Telephonierhaltung mangels Telephonhörer zu einem merkwürdigen Zwittergestus von Ratlosigkeit und Nachdenklichkeit gefriert. Dummnaiv glotzt der merkwürdige Gnom mit einem rosa und einem grünem Auge über den Zaun hinweg. Anstelle von menschlichen Figuren, die Deckert bewußt zu malen vermeidet, besetzt dieser organlose Körper, der im Grunde kein Körper, sondern lediglich eine mit Luft gefüllte Plastikhaut zu sein scheint, der eine Mischung aus aufgepumptem Schlauchboot und gnomenhaftem Zaungast darstellt, Deckerts Bildweit.
Schauen wir uns Christians Deckerts Vorgehensweise etwas genauer an: In einer Waldlandschaft mit tiefliegendem Horizont wechseln Raum und Fläche, Kunstkörper und natürlicher Gegenstand einander ab. Der freie Blick in den Himmel wird hier konsequent verweigert, statt dessen schiebt sich ein Vorhang mit abstrakten Elementen wie Zahlen, Muster oder Farbflächen vor die Landschaftsbühne.

Sie kennen alle die Wurfsendungen größerer Lebensmittelketten. Christian Deckert greift in diesem Bild die plakative Gestaltung dieser Werbebroschüren, in denen die angebotenen Waren mit einem aufdringlich großen Sonderpreis ausgezeichnet werden, auf und treibt das gestalterische Verfahren ins Absurde, indem er den Sonderpreis "2.99, €" aufgebläht ins Zentrum des Bildes setzt und den angebundenen Gegenstand, ein dickbäuchiges, rosarotes Gummitier, in den Freiraum der Zahlen einhängt und wie eine Fledermaus kopfüber baumeln läßt. Was kostet die Kunst?

Deckerts neue Bilder sind deutlich von einer Computer-Bildschirmästhetik geprägt: Die Flächen ragen vom Rand hinein, das Ausgangsbild wird Schicht um Schicht überlagert, Flächen werden, um im Computer-Jargon zu bleiben, reingeklickt, und verschränken den virtuellen Raum. Die jeweils nächste Oberfläche löscht die vorherige aus, keine bleibt als Gesamtbild bestehen, ein unendliches virtuelles Spiegelkabinett wird eröffnet, ohne daß sich eine vollgültige Tiefenperspektive einstellt.
Ein Anlaß zu dieser Bilderserie war für den Künstler nicht zuletzt die kritische Auseinandersetzung mit globalisierenden Vereinnahmungen von Ressourcen auf dieser Erde wie Wasser oder Energie, aber auch die ihn desillusionierende Vermarktung immaterieller Güter wie die Aufteilung des Himmels (UMTS) oder auch die Vereinnahmung der Grundlagen seiner künstlerischen Arbeit, wie hier der Farbe Magenta.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel dafür geben, das der Komik nicht entbehrt. Am 26.Juli 2001 wurde in den Nachrichten gemeldet, der Buchverlag "My favourite Book" geriet mit der Deutschen Telekom aneinander, weil er eigene Anzeigen und seine Website in Magenta gestaltet hatte. Die Farbe sei markenrechtlich geschützt argumentierte die Telekom. Der Geschäftsführer des Buchverlages kommentierte: "Als ich die Unterlassungsklage in den Händen hielt, habe ich mich erst einmal ganz still hingesetzt und überlegt, ob es sich hier um eine Satire handelt."

Wie gesagt, Magenta gehört zu den vier Grundfarben unseres Farbsystems. Farbe ist , wie ich eingangs dargelegt habe, kein eindeutiger Begriff, Farbe ist eine Eigenschaft des Lichts, je nach Lichtverhältnissen, wechselt die Wirkung der Farbe. Sie ist mit Sinneseindrücken verbunden und kennzeichnet ein psychologisches Moment. Im Laufe der Jahrhunderte gab es viel verschiedene Modelle des Farbdenkens, sie repräsentieren die Geschichte des menschliches Denkens mit allen ungelösten Existenzfragen über Endlichkeit und Unendlichkeit des Raumes. Farben sind nicht nur Naturbeschreibungen, sondern auch Projektionen menschlichen Geistes. Beim Einsatz von Farben schwingen deshalb eine Vielzahl von Bedeutungen mit. Wie also läßt sich eine Farbe markenrechtlich schützen?



Ich denke, es ist hinreichend klar geworden, daß Christian Deckert in seiner neuen Bilder-Reihe "Magenta" keinem Modetrend folgt, sondern gerade im Gegenteil eine Rückeroberung vornimmt, indem er mit seiner Kunst ein Widerstandspotential aufbaut. Mittels eines ironisierenden und banalisierenden Verfahrens, das ein spielerisches und zugleich subversives Moment enthält, widersetzt er sich der In-Dienst-Nahme einer Form oder Farbe für den Kommerz.
Denn "Künstler sind Piraten", so sagt Christian Deckert, d.h. Künstler erobern sich die vereinnahmten Bilder und Farben mit den Mitteln der Kunst zurück.




Dr. Bettina Baumgärtel
Leiterin der Gemäldesammlung
museum kunstpalast, Düsseldorf