Text für die Einweihung der Kapelle
und ihrer Innenausgestaltung durch Christian Deckert
am 07.10.2006


von Stefan Lausch

Einleitung

Wir haben uns heute hier getroffen, um etwas besonderes zu feiern. Eine alte Wegeskapelle, die zuletzt sehr stark verfallen war, erstrahlt in neuem Glanz. Sie ist baulich restauriert worden und im Inneren von einem Künstler mit Malereien und Keramiken neu ausgestattet worden und somit ein neuer Ort für stille Einkehr und ein neugestaltetes Gedenken an die heilige Thérèse von Lisieux.
Mit einigen einleitenden Worten in die künstlerische Arbeit Christian Deckerts möchte ich Ihnen Anregungen für die Betrachtung geben und zugleich aus meiner Sicht Gründe darlegen, warum wir es hier mit dieser künstlerischen Arbeit, mit etwas Besonderem zu tun haben.


Die Besitzer und Christian Deckert

Was hier an diesem Ort geschehen ist, ist in unserer heutigen Zeit ausgesprochen selten und wertvoll: Einem Künstler wird die Aufgabe gegeben, eine kleine Wegeskapelle auszumalen und auszustatten und bekommt dabei alle Freiheiten, die ein zeitgenössischer Künstler braucht, um wirklich arbeiten zu können.
Das ist selten, denn zumeist werden an Aufgaben auch bestimmte ästhetische Vorstellungen geknüpft, die dem Bild von Kunst entsprechen sollen, das der Auftraggeber hat.
Es ist für die Künstler heute schwer möglich, mit Bildern etwas zu kommunizieren, denn einerseits sind die Formen frei, die Kunst frei und dadurch bedingt ortlos. Bei dem Vorhaben, die Kapalle auszugestalten, handelt es sich freilich um eine Aufgabe und durch die Aufgabe entsteht sowohl ein physisch existenter, als auch auch ein gedanklicher Raum. An solchen Räumen fehlt es der Kunst; Galerie- oder Museumsräume sind keine Räume der Kommunikation. Sie sind entweder Verkaufsräume oder wissenschaftliche Ansammlungen von Bildern, um mehr ÜBER Bilder zu erfahren.
Eine Kommunikation DURCH Bilder stellt sich da kaum her.
Schon ein Buch ist daher mehr Raum als ein Museum.
Zitat Susan Sontag:
"(Bilder) werden (in Galerien und Museen) zu Stationen eines Spaziergangs, den der Betrachter meist in Begleitung anderer unternimmt. Ein Museums- oder Galeriebesuch ist eine von vielfältigen Zerstreuungen durchsetzte soziale Veranstaltung, bei der Kunst betrachtet und über Kunst gesprochen wird."

Ich möchte also, bevor ich mich der Arbeit Christian Deckerts zuwende, hervorheben, dass ohne die Idee der Besitzer der kleinen Kapelle, Katja und Rüdiger Müngersdorff und ohne ihr Vertrauen in den Künstler und seine Möglichkeiten etwas so Schönes, wie ihre Ausgestaltung, die wir heute bewundern können, nicht möglich gewesen wäre.
Dieses Vertrauen in die Fähigkeiten eines Künstler ist selten (und es ist vielleicht auch nicht sehr häufig gerechtfertigt…).

Es hat sich glücklich getroffen, denn Christian Deckert ist ein Künstler, der bereit und in der Lage ist, sich ganz einer Sache zu widmen und sich in sie hineinzufinden.
Er geht gerne von ETWAS aus, weniger von sich selbst und von bisher erarbeiteten bildnerischen Gewohnheiten. Er sieht sich selbst weniger im Zentrum seiner Arbeit, sondern mehr als eine Art Medium, das kommuniziert.
Erstaunlich dabei ist, dass Deckert mit den Jahren eine Art Malstil und eine bestimmte Art der Bildauffassung entwickelt hat, die das Ergebnis des Versuches ist, einen solchen persönlichen Malstil eben zu vermeiden. Schauen Sie sich das Pferd oder die Rose an: Hier zeigt sich das Pferd und zeigt sich die Rose OHNE dass ein Maler ihnen seinen Malstil aufgezwängt hätte.
Und doch können Sie mit geübtem Blick einen echten Deckert sofort erkennen.

Christian Deckert bekommt also den Auftrag, die Kapelle auszustatten, und was macht er als erstes?
Er nimmt sich Zeit! Zeit. Wer hat schon Zeit!

Er lässt sich auf die Geschichte der heiligen Thérèse ein, er lässt sich auf den Raum ein, er versucht herauszufinden, was das Ganze mit ihm selbst zu tun hat. Er macht sich Gedanken, wie der ganze Raum zu einer Einheit werden kann und in dem doch ganz unterschiedliche Elemente vorkommen.
Mit Gedanken machen, meine ich auch und gerade, das im Raum sitzen und In-Sich-Hineinhorchen, das Vermeiden von Gedanken, um nämlich einer Sache näher zu kommen. Sich also in etwas Hineinfühlen und auch auf die Regungen und Energien zu achten, die leicht übersehen werden.


Die heilige Thérèse

Die Kapelle ist der heiligen Thérèse gewidmet und diese Heilige war eine Heilige der Moderne.
Ich selbst habe noch nie ein Foto eines Menschen gesehen, der später heilig gesprochen wurde, bis ich die Kapelle sah, in der Deckert einige Fotos von ihr präsentiert. Auf einem Foto kann man Thérèse sehen, wie sie sich als Heilige verkleidet hat, als Jeanne d´Arc. Merkwürdig, eine Heilige als Heilige verkleidet. Dass sich Heilige in ihrem irdischen Leben ein Vor-Bild an anderen Heiligen genommen haben, gehört zum heiligen Leben dazu; sich aber als Heilige zu verkleiden, ist schon bemerkenswert. Thérèse ist ja auch furchtbar jung, ein Kind noch.

Und so gibt es einige Hinweise auf das Kindliche und das Moderne zugleich:

In einer Ecke des Raumes ist ein Fußball gemalt. Thérèse selbst hat ihr Verhältnis zu Gott mit einem Ballspiel verglichen:
"Seit einiger Zeit hatte ich mich dem Jesuskind als kleinen Spielzeug
angeboten. Ich hatte ihm gesagt, er solle mich nicht wie ein kostbares Spielzeug behandeln, daß die Kinder nur anschauen, weil sie es nicht wagen, es anzurühren, sondern als einen kleinen Ball von keinerlei Wert, den es auf den Boden werfen, mit dem Fuß stoßen, durchbohren, in einem Winkel liegen lassen oder an sein Herz drücken könne, wenn es ihm Freude mache."
Hatte man nicht das Bild von Heiligen im Kopf, in dem sie große Anstrengungen unternehmen, um Gott nahe zu sein? Gibt es nicht im katholischen Christentum unendlich viele Heiligengeschichten von Entsagungen, Kasteiungen, von Marthyrien? Hier sagt jemand nur: Mach mal, ich bin Dein Ball, kannst, wenn Du willst, machen was du willst. Ich bin ja sowieso nur ganz klein.

Wir sehen eine kleine Tonplastik, die einen Aufzug darstellt. Deckert nimmt hier eine Aussage Thérèses auf:
"Wir leben im Zeitalter der Erfindungen: heutzutage lohnt es sich nicht
mehr, eine Treppe Stufe um Stufe zu ersteigen; bei den reichen Leuten wird sie auf das Angenehmste von einem Aufzug ersetzt. Auch ich möchte einen Aufzug finden, um mich bis zu Jesus zu erheben: denn ich bin zu klein, um die steile Stiege der Vollkommenheit zu erklettern."
Enorm: Alldiejenigen Pilger, die jährlich auf ihren Knien zu einem Heiligtum kriechen, um durch Demut ein besserer Mensch zu werden, haben das mit dem Aufzug noch nicht begriffen.

Wir sehen über der Türe ein Pferd, unter dem man aus der Kapelle herausschreitet. Eine Erinnerung an Thérèse, von der erzählt wird:
Thérèse will klein bleiben, um Gottes Größe zu erfahren. Klein bleiben aber
auch, um  Hindernisse leichter zu überwinden. Mit hintergründiger Ironie erinnert sie sich an das Pferd, das irgendwann in ihren Kinderjahren die Gartenpforte der Buissonnets versperrte. Die Erwachsenen seien ratlos herumgestanden, während Thérèse, der listige Kobold, blitzschnell zwischen den Beinen des Tieres hindurchschlüpfte! Später wird sie die Geschichte einer problembeladenen Mitschwester erzählen und ihr den Rat geben, statt einen wüsten Kampf mit ihren Schwierigkeiten auszufechten, solle sie doch einfach "unten durchkriechen".
Hier zeigt sich eine Haltung, die in der Postmoderne eine große Rolle spielt. Zum ersten Mal aufgeschrieben 1975 von Andy Warhol:
=Manche Leute lassen sich von ein und demselben Problem über Jahre hinweg kaputtmachen, obwohl sie nur zu sagen brauchten: "Was soll´s!"
Das ist eine von meinen Lieblingsredewendungen: "Was soll´s!"
"Meine Mutter hat mich nie geliebt." Was soll´s.
"Ich bin toll, aber immer noch alleine." Was soll´s.
Ich weiß nicht, wie ich es ausgehalten habe, bevor ich diesen Trick raushatte, aber wenn du ihn einmal raushast, verlernst du ihn auch nie wieder.=

Inwieweit die Moderne und die ihr folgende Postmoderne nicht erst die jugendlichen und dann die kindlichen Züge des Menschen betont hat, ist eine Diskussion, die an anderer Stelle geführt werden muss, aber ich glaube, dass die Kindlichkeit der Hl. Thérèse eine große Anziehung auf die Gläubigen gehabt haben muss, von der Vielzahl der Rosenwunder einmal ganz abgesehen.

Es gibt in der Kapelle an vielen Stellen Hinweise auf Leben und Wirken der Heiligen Thérèse. Neben dem Aufzug, dem Pferd und dem Ball sehen wir auch das Sterbebett der Heiligen, eine kurze Treppe, und die für Thérèse so wichtigen Rosen, die an die Rosenwunder erinnern. Damit steht Deckert in bester Tradition von Bildern, die an Heiligenlegenden erinnern.
Die Betrachter teilen sich dabei grundsätzlich in zwei Gruppen: die einen sind die Gläubigen, die eine Kapelle oder Kirche betreten, um sich dort an die Heiligen zu wenden, um Fürbitte zu erbeten und die anderen, die eine Kirche in der Hauptsache dem ästhetischen Genuss wegen betreten. Ich vermute, dass der größte Teil der heutigen Besucher und Besucherinnen dieser zweiten Gruppe angehören. Der ästhetische Genuss aber wird dadurch erhöht, dass man weiß, dass hinter diesem eine weitere, über die Formen hinausgehende Bedeutung liegt. Die Bilder erscheinen auch einem Nicht-Gläubigen als irgendwie aufgeladen.

(Vor ein paar Jahren stand ich in der Kirche Notre Dame de Paris und es wurde mir sehr klar, dass wir unserer eigenen Kultur wie Touristen begegnen. Zum Glück gibt es immer noch Gottesdienste dort und Menschen, die den Sakralraum zum Gebet nutzen. Wir spüren, auch durch den touristischen Blick hindurch eine Option auf Hoffnung und vielleicht, wenn´s mal ganz schlimm kommt, können wir uns dieser Hoffnung anschließen.)

So erinnert Deckert an die Heilige Thérèse und verzichtet gleichzeitig darauf, zu erklären. Wer also mehr über die Heilige wissen will, wird sich an anderer Stelle informieren; die Ausgestaltung der Kapelle erinnert lediglich an sie und bestätigt den in seinem Wissen, der sich betend an Thérèse wendet.
Es ist ein wenig so, wie mit Denkmälern und auch wie mit Straßennamen. In einer Sozialsiedlung erinnert die "Immanuel-Kant-Straße" die Menschen auch nur daran, dass es mal einen gab, der Immanuel Kant hieß, als Straße für eine philosophische Fakultät wäre der Name vielleicht eher Programm, für das dort Gelehrte.


Die Innenausgestaltung der Kapelle

Zuletzt möchte ich noch auf ein paar Dinge aufmerksam machen, die die Ausgestaltung der Kapelle selbst angeht, Deckerts künstlerische Arbeit.
Wenn Sie die Kapelle betreten, schauen Sie als erstes auf die Stirnwand, die auch der dominante Eindruck ist, wenn man nur Gelegenheit hat, durchs Fenster zu schauen, weil die Kapelle geschlossen ist.
Wir sind es gewohnt, dass die Stirnseite eines christlichen sakralen Raumes symmetrisch gestaltet ist. Das Gebäude ist symmetrisch, die Stirnwand auch und in der Mitte steht oder hängt das Kreuz, das natürlich selbst auch symmetrisch ist. Man kann sehr vieles zum Wesen der Symmetrie und der Mitte sagen, der wichtigste Punkt aber ist wohl der, dass Sie sich mit Ihrer eigenen Symmetrie in der des Kreuzes spiegeln.
Das Kreuz bietet so eine Entsprechung zu Ihnen selbst und dadurch werden Sie sozusagen eins mit dem Kreuz, eins mit der Symmetrie der Stirnwand.
Symmetrie aber ist das, worauf Christian Deckert mit großer Absicht verzichtet. Er lässt den Betrachter im Vergleich zu anderen sakralen Räumen sozusagen ins Leere laufen, man kann hier nicht eins werden mit einem Kreuz. Ich glaube, dass sich hier etwas sehr zeitaktuelles zeigt, nämlich, dass wir der Religion durchaus skeptisch gegenüber stehen, aber gleichzeitig etwas suchen, dass uns irgendwie so etwas wie Sinn erfahren lässt. Romantische Spiritualität z.B. kommt ohne Symmetrie aus, man kann sie erleben im Gebirge, am Meer, im Kerzenschein…
Sie betreten also eine Kapelle und schauen durch die Rosenäste hindurch auf eine leere Wand, die Ihnen die Räume dahinter offen stehen lässt.
Drehen Sie sich um und wenden sich der Türe zu, so sehen Sie ein Dickicht von Blättern, die Ihnen ebenfall den Raum nach außen öffnen lässt, aber nicht als Jahrmarkttrick, denn um das zu verhindern, malt Deckert das Grüne in Schwarz-Weiß. Und auch an dieser Wand wird die Symmetrie dadurch ein wenig ins Ungleichgewicht gebracht, dass unten rechts der Fußball gemalt ist, dort, wo er auch wirklich liegen könnte.

Unter der Decke finden Sie im Computer gestaltete neuartige symmetrische Ornamente, die aber nicht für sich stehen bleiben, sondern eine Art Echo bilden zu den althergebrachten ornamentierten Fliesen auf dem Boden.

Die Decke ist übersäht mit grünen Punkten unterschiedlicher Helligkeit, die der Decke eine schöne Leichtigkeit verleihen und über diese Anmutung an die Rosenwunder erinnern, bei denen Thérèse Rosenblätter hat vom Himmel regnen lassen. Dass Deckert nicht wirklich Rosenblätter malt (schließlich malt er ja auch einen Fußball ganz realistisch) hat wiederum mit dem fragilen Gleichgewicht zu tun. Denn würde er jedes Rosenblatt wie echt malen, würde die Gestaltung der Decke ein solches Übergewicht darstellen, dass das Gleichgewicht zerstört wäre.
Es gibt in der Kapelle zu jedem Element ein Gegengewicht, das manchmal auch als räumliche Überleitung funktionieren kann. Der Kerzenständer aus Keramik auf dem Altarsockel stellt eine Verbindung mit den vier mit Keramiken versehenen Nischen her, das kleine Foto auf dem Altarsockel leitet über zu denen in der Nische daneben. Die Fotos wiederum leiten über zu den figürlichen Darstellungen der Keramiken.

Die Gleichgewichte sind zahlreich und so ausgewogen, dass sogar die Doppelsteckdose links unterhalb des Altarsockels mit "einberechnet" ist. Stellen Sie sich vor, sie würde verputzt, es würde dann etwas fehlen. Sie bilden nämlich eine Art Gegengewicht zu dem Rosensstamm, der selbst auch dazu dient, den Altarsockel leichter wirken zu lassen.


Christian Deckerts Arbeit an dieser Kapelle ist ein sich Einlassen auf ein sehr feinfühliges und fragiles Ausbalancieren von Gleichgewicht, indem er das Ganze zunächst in ein gewisses Ungleichgewicht bringt. Dadurch aber wirkt der Raum leicht und lebendig. Vergleichen Sie diesen Raum, der durch seine Leichtigkeit viel eher mit Optimismus und Hoffnung in Verbindung gebracht werden kann, mit einem der dunklen, schweren Kapellen in der Umgebung.
Es kann bei genauerer Betrachtung doch schon recht fremdartig wirken, dass Räume, die Trost und Hoffnung spenden sollen, in ihrer Ausgestaltung durch eine Schwere der Symmetrie, Schwere Skulpturen, durch dunkle Farben das Gegenteil davon ausstrahlen.
Sie strahlen Autorität aus, was für sich genommen auch nicht schlimm sein muss, wenn sie denn eine Verlässliche wäre. Und das ist sie ja eben nicht.

Darum freuen wir uns über unsere Freiheit und brauchen dennoch sprituellen Trost in schlechten oder letzten Tagen.